Am 2. Mai 1919 wurde Gustav Landauer verhaftet und grausam ermordet. Geboren ist er am 7.April 1870 in Karlsruhe als dritter Sohn des jüdischen Ehepaares Rose und Hermann Landauer, der damals in der Lange-(heute Kaiser-)Straße 104 wohnte. Die Familie hatte bis 1938 verschiedene Geschäfte auf der Kaiserstraße. Der letzte "Landauer" in Karlsruhe, sein Bruder Felix, war bis 1938 in der Langestr. 183 gemeldet und starb am 1.August 1939 in Karlsruhe; 1.11.1936 Suizid seines Neffen Hans, Arzt.
1888 macht Gustav Landauer Abitur am Großherzoglichen Gymnasium, dem heutigen Bismarck-Gymnasium. Anschließend Studium der Germanistik, Anglistik, Philosophie und Kunstgeschichte in Heidelberg, Straßburg und Berlin. Ein Medizinstudium wird ihm 1895 (Freiburg) wegen der vorherigen politischen Betätigung verwehrt.
Statt dessen taucht er in das kulturelle/politische Leben der Hauptstadt ein und lernt schon 1889 den wesentlich älteren Schriftsteller, Sprachphilosophen und Theaterkritiker Fritz Mauthner kennen; später einer seiner engsten Freunde. Gerade diese in hunderten Briefen dokumentierte Freundschaft zeigt wie sehr er an seinen - in diesem Falle antimilitaristischen - Grundüberzeugungen festhielt und sich nicht scheute seinen Standpunkt privat wie öffentlich klar darzulegen; mit entsprechenden Konsequenzen. Er betätigt sich auf unterschiedlichen Feldern politisch und kulturell, was in vielen seiner (späteren) Texte oft eng miteinander verwoben ist. Er veröffentlicht erste Texte. Politisch betätigt er sich als Redner, als Mitherausgeber der Zeitschrift „Sozialist“. Er ist Delegierter auf dem Internationalen Sozialistenkongress in Zürich, reist zum 1. Mai nach London, oder ruft z.B. zum Generalstreik auf!
1893 wird er erstmals zu einer mehrmonatigen Haftstrafe verurteilt; eine Zeit, die er produktiv nutzt.
Er war zweimal verheiratet: 1894 bis 1903 mit Margarethe Leuschner (1Tochter Charlotte) und von 1903 bis zu Ihrem Tod (1918) mit Hedwig Lachmann (Lyrikerin, Übersetzerin) siehe unten (zwei Töchter, Gudula und Brigitte). Charlotte gelingt es 1919 die Herausgabe des Leichnames und des beschlagnahmten schriftstellerischen Nachlasses ihres Vaters zu erreichen.
Gudula kümmert sich 1946 um die Wiederherstellung des von den Nationalsozialisten zerstörten ersten Grabes auf dem Münchener Waldfriedhof. Wer nach Zeugnissen für seine pazifistische, antimilitaristische Haltung sucht, für seinen ständigen Kampf gegen Kriegstreiberei, Gewaltverherrlichung,... für Versuche alle Beteiligte an Kriegen und deren Vorbereitung zu benennen, oder diese gar mit Argumenten zu erreichen, die übernationalen Mechanismen der verschiedenen am Krieg interessierten Kräfte aufzuzeigen, …der wird beim Lesen seines Werkes fündig.
Ich bitte ausdrücklich zu entschuldigen, dass ich z.Z. des Entstehens dieses Textes manchmal keine ganz genauen Zitat-Angaben machen kann: Im Briefwechsel mit Fritz Mauthner schreibt Landauer zu Anschlägen mit Toten durch gewaltbereite Anarchisten in Europa: "Sobald ich Zeit finde, muß ich mich mal mit klaren Worten zu den sogenannten Taten dieser Leute äußern." Er wendet sich deutlich gegen die tatsächlich Jahrzehnte nach dem deutsch-französischen Krieg von Monarchisten und Militaristen angestellten Überlegungen, die Jubiläumsfeiern einiger für Deutschland siegreicher Schlachten an den Originalschauplätzen—also in Frankreich und im Elsaß! —mit deutschen Veteranen abzuhalten. An anderer Stelle prophezeiht er: "... unter bestimmten ungünstigen Bedingungen, die er aber im Kaiserreich teilweise schon als gegeben ansehe, könne nach einem verlorenen nächsten Krieg ein einzelner Mann, eine kleine Gruppe, die Macht an sich reißen."
Erstaunlich, oder?
In mehreren Texten spricht er die Arbeiterschaft und die Schichten der Gesellschaft (nicht nur der Deutschen) an, die einen Krieg „tragen“; ohne die kein Krieg stattfinden kann. Sehr stark verkürzt möchte ich seine Ideen durch ein altes, berühmtes Zitat der Friedensbewegung von 1981 darstellen:
"Stell Dir vor, es ist Krieg und Keiner geht hin!“
Seine Warnungen, seine totale Ablehnung besonders der durch die Sozialdemokraten im Reichstag ermöglichten Beschlüsse zur allgemeinen Aufrüstung, sind z.B. im „Sozialist“ nachzulesen. Er bestreitet vehement die Behauptung, Deutschland sei von kriegslüsternen, feindlichen Mächten umzingelt und deswegen bald gezwungen einen Befreiungskrieg zu führen, "... im Gegenteil, das Kaiserreich flöße durch seine wachsende militärische, wirtschaftliche Stärke und seine Drohgebärden den Nachbarn Furcht ein...".
Im „Sozialist“ erscheint 1912 der Artikel: Vom Krieg - ein Zwischengespräch; darin wörtlich: "Wenn sich zwei Menschen einfallen ließen, zu verabreden, jeder wollte möglichst viele Ochsen schlachten, und wer nach Verlauf einer Stunde möglichst viele Kadaver um sich liegen hätte, solle vom anderen ein Klavier und ein Paar Ohrringe bekommen, so würden die beiden Veranstalter sicher ins Irrenhaus gesteckt. Wenn sie aber genau ebenso sinnlos und um ganz anderer Zwecke willen einen Sieg im Menschenschlachten herbeiführen, werden sie mit Orden behängt und als Helden gefeiert. Noch Fragen?
Im Jahre 1916 schreibt er den Text: Friedensvertrag und Friedenseinrichtung (Brief an den amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson) in dem er ihm Vorschläge zur Beendigung und Sicherung des Friedens durch eine Art internationales Bündnis macht (Völkerbund).
Ich komme nun nochmal auf die oben erwähnte, viele Jahre sehr enge Freundschaft mit Fritz Mauthner zurück: In exemplarischer Weise sieht man in dem vollständig erhaltenen Briefwechsel der beiden, wie schmerzlich es für Landauer gewesen ist, zu sehen und zu lesen, wie auch dieser von ihm hochgeschätzte Mann und viele andere politische Freunde in der Vorkriegsphase langsam oder plötzlich in den Sog nationalistischer Begeisterung für Deutschland gerieten.
Wörtlich schrieb Mauthner am 19.11.1914 an Landauer: "Wenn ich mit einem Fingerdruck England in die Luft sprengen könnte, so täte ich´s und wäre glücklich dabei!" Danach kühlte der Tonfall der Briefe deutlich ab. Ein Annäherungsversuch Mauthners zu Weihnachten wurde von Landauer wie folgt beantwortet: "Wir feiern in diesen Zeiten kein Weihnachtsfest, erst wieder wenn dieser Krieg vorbei ist."
Viele Beziehungen brachen schon vor und spätestens nach Kriegsbeginn (für immer) ab und so war er mit seiner Position zunehmend allein und isoliert. Am 21.2.1818 starb seine zweite Ehefrau, die Schriftstellerin, Sprachlehrerin und Übersetzerin, (geb. 29.8.1865, Stolp/Pommern, gestorben in Krumbach/Bayern) mit der ihn schon vor der Hochzeit viel verband. Zusammen haben sie die Werke mehrerer Dichter übersetzt.
Die bayrische Räterepublik (7.11.1918 bis 2.5.1919): Gleich zu Anfang dieser ganz besonderen Phase der deutschen Geschichte wurde er vom später (noch vor ihm) ermordeten Präsidenten der Räterepublik und seinem Freund Kurt Eisner nach München gerufen, wo er bis zu letzt eine der führenden Persönlichkeiten war.
Trotz seines bewundernswerten Einsatzes scheitert das Experiment, hauptsächlich durch Gewalt von außen.
Mit Gustav Landauer wird am 2. Mai 1919 ein großer Mann auf brutale Weise ermordet, dessen Geist über seinen Tod hinaus bis heute wirkt.
Martin Hauge (martin.hauge(at)danke-karl-drais.de